Molecule-Profil: Rosabelle Armstead

Rosabelle Armsteads Einstieg in die Spieleindustrie war, gelinde gesagt, ungewöhnlich: Die talentierte Jungprogrammiererin hat bereits vor Abschluss ihres Studiums einen Job bei Media Molecule ergattert und für ihre Arbeit an Dreams einen BAFTA eingesackt. Wir haben uns mit Rosabelle darüber unterhalten, was sie bei Mm macht, wie sie hierhergekommen ist, und über die Gemeinsamkeiten zwischen dem Programmieren, dem Erschaffen von Kunst und dem Lösen von Kreuzworträtseln.

Ein Foto von Rosabelle Armstead

Ein Foto von Rosabelle Armstead

Hi Rosabelle! Was genau machst du hier bei Media Molecule?

Ich bin Jungprogrammiererin bei Dreams. Die meiste Zeit verbringe ich damit, mir Code anzusehen, Code zu schreiben, Code zu reparieren und mich mit anderen Programmierern auszutauschen. Weil ich neu dabei bin, gibt es noch viel zu lernen. Deswegen unterhalte ich mich häufig mit den erfahrenen Programmierern und sie helfen mir sehr.

Wie läuft das eigentlich genau ab, wenn du etwas für Dreams programmierst?

Ich war stark an den Wichtel-Quests und den Trophäen und dem Einarbeitungsprozess im Spiel beteiligt. Das ganze Wichtel-Quest-System war bereits geboren, bevor ich dazustieß, ich habe es also quasi bloß übernommen. Wir haben für die Wichtel-Quests ein Tool, das eine Datei so verarbeitet, dass die Designer aktiv Dinge hinzufügen können, damit Wichtel-Quests und Trophäen ins Spiel eingebaut werden. Aber bestimmte Dinge müssen wir selbst in den Code eingeben, um diese Anfragen umzusetzen. Wir haben für die meisten Bereiche Tools, die so aufgebaut sind, dass die Designer selbst Dinge hinzufügen können. Sie benutzen einfach das Tool und schon ist etwas so gut wie ins Spiel eingefügt – und der Programmierer erledigt dann quasi nur noch den Feinschliff. Ich gebe euch mal ein Beispiel für die Wichtel-Quests. Wir haben eine Liste mit allen Wichtel-Quests und eine Funktion, mit der man eine bestimmte Wichtel-Quest als freigeschaltet markieren kann, wenn eine bestimmte Aktion ausgeführt wurde. Hat man also beispielsweise ein Tutorial abgeschlossen, gibt es im Code eine Zeile, die besagt: „Dieses Tutorial wurde abgeschlossen“, und wir fügen dann die Zeile „Diese Tutorial-Wichtel-Quest als freigeschaltet markieren“ hinzu.

Also besteht deine Aufgabe im Grunde darin, in einer speziellen Sprache mit dem Spiel zu „reden“ und es dazu zu bringen, die Dinge zu tun, die die Designer gern haben möchten?

So kann man es sagen. Es ist eine Art mathematisch-logische Sprache. Auch die Art, wie unser Code aufgebaut ist – er ist an sich nicht besonders wortreich, sondern für Programmierneulinge wie mich größtenteils ziemlich leicht zu verstehen, weil alles ganz übersichtlich geschrieben ist. Die meisten Sachen sind selbsterklärend – so heißt vielleicht eine Funktion „Taste hinzufügen“ und einem ist sofort klar: „Mit der Taste-Hinzufügen-Funktion kann ich eine Taste hinzufügen!“. Im Vorfeld muss jemand diese Funktion erst mal programmieren, das Grundgerüst steht also schon. Das ist ein Teil dessen, woran ich gerade arbeite – ich lerne die Grafikprogrammierung, um diese Tasten auf Pixelebene zu erstellen, anstatt einfach auf eine Funktion der höheren Ebenen zurückzugreifen, um eine Taste hinzuzufügen.

Porträt von Ellie aus The Last Of Us Part II, gemalt von Rosabelle Armstead

Porträt von Ellie aus The Last Of Us Part II, gemalt von Rosabelle Armstead

Wolltest du schon immer Programmiererin werden?

Ja. Als Kind habe ich oft das Nintendo-Magazin gelesen. Da gab‘s immer Anzeigen für Games-Jobs mit einer Liste all der verschiedenen Bereiche der Branche: Grafik, QA, Programmierung, Produktion, Spieldesign. Und ich dachte mir: „Es wäre so toll, an etwas zu arbeiten, das ich selbst so gerne konsumiere. Es für andere Menschen bereitzustellen, damit sie es spielen können, fände ich wirklich erfüllend.“ Zu der Zeit gab es an meiner Schule – eine reine Mädchenschule – keine Informatikkurse. Wir hatten nur Informationswissenschaft und da ging es lediglich um Tabellenkalkulation und Serienbriefe. Was zwar dem Produktionsaspekt nahekommt, aber nichts mit Programmieren zu tun hat. Das habe ich in der Mittelstufe genommen, aber es war nicht wirklich das, was ich wollte, was ich sehr traurig fand. Ich bin aber andere Wege gegangen: Ich habe jede Menge eigene Projekte in Scratch erstellt, das ist eine Drag-&-Drop-Programmiersprache mit Blockstruktur – da war ich ungefähr 11. Danach habe ich zusammen mit meinem Bruder Roblox-Spiele mit der damaligen Skriptsprache Lua erstellt. Als ich 16 war, bot meine Schule endlich Informatik auf A-Level*-Niveau an. (*entspricht Abitur)

Gerade noch rechtzeitig!

Ja! Ich wollte das vor dem Abschluss unbedingt noch mitnehmen, um vor der Uni noch etwas zu lernen! Ich hatte Glück: Im Januar vor den A-Levels gab es einen Schnupperkurs, in dem wir so einen ganz simplen Sortier-Algorithmus namens BubbleSort in einer ebenso simplen Sprache – Visual Basic – lernten. Das hat mir großen Spaß gemacht, weil all die logischen Teile meines Gehirns, die ich so gerne benutze, dabei gefordert waren. Ich dachte mir: „Ja, das mache ich auf jeden Fall weiter, das ist fantastisch“. Und bei meiner Mittelstufen-Preisverleihung ein paar Monate nach dem Schnupperkurs kam doch tatsächlich Siobhan [Reddy, Studiodirektorin bei Media Molecule] vorbei und hielt eine Rede. Ab da war die Sache klar.

Grafik von Rosabelle Armstead, mithilfe von Procreate erstellt

Grafik von Rosabelle Armstead, mithilfe von Procreate erstellt

Hast du Siobhan persönlich kennenlernen können?

Ich weiß noch, als sie auf die Bühne ging, um ihre Rede zu halten, und sich vorstellte und erzählte, woher sie kam, drehten sich alle, die in meiner Nähe saßen, zu mir um und sahen mich an – es war echt witzig! Meine damalige Lehrkraft (die im folgenden Jahr Informatik unterrichtete) meinte: „Machen wir dich doch mit ihr bekannt, dann könnt ihr eure Kontaktdaten austauschen.“ Und ich glaube, ich bin daraufhin zu ihr gegangen und habe mich mit ihr unterhalten. An das Gespräch selbst erinnere ich mich nicht mehr, weil ich so nervös war. Aber wir haben ihre E-Mail-Adresse bekommen und im Januar darauf einen Schulausflug zu ihr organisiert. Dabei unterhielten wir uns mit Leuten wie Amy (Phillips, Tools-Programmiererin) und Michelle (Ducker, Senior Producer) und bekamen Demos aus der frühen Anfangsphase von Dreams zu sehen. Das war sehr interessant und alles, was Mm so tat, bestärkte mich in meinem Wunsch, Programmiererin zu werden, und zwar speziell für Spiele. Ich dachte die ganze Zeit nur: „Ich fasse es nicht, wie toll das alles ist“. Schließlich hakten ich und ein paar andere nach, ob wir im Sommer ein Praktikum machen könnten, was dann im darauffolgenden Jahr wiederholt wurde – und im Jahr danach ebenfalls!

Foto von Rosabelles Schulausflug zu Media Molecule 2015

Foto von Rosabelles Schulausflug zu Media Molecule 2015

Und dann hast du bereits mit deinem Informatik-Studium angefangen – und schließlich auch dein Praktikumsjahr bei Media Molecule absolviert. Was hatte das Studio an sich, dass du dich dort so zuhause gefühlt hast und unbedingt dorthin wolltest?

Hier herrscht einfach ein unglaublich kollegialer Vibe. Jeder versteht sich mit jedem. Jeder kennt jeden, jeder hat seine eigenen Interessen und jeder weiß, wofür die anderen sich interessieren. Aber es ist auch jeder extrem gut in seinem Job – und extrem gut in seinen Interessen!

Viele verschiedene Interessen zu haben, ist eine Beschreibung, die definitiv auch auf dich zutrifft: Du hast ein unglaubliches Talent für Porträtmalerei. Was fasziniert dich so an Kunst? Ist es dasselbe, das dich auch am Programmieren fasziniert?

Ich glaube schon! Es ist irgendwie ... ich habe dasselbe Gefühl, wenn ich beim Programmieren ganz in meinem Element bin. Wenn ich ganz ins Zeichnen eintauche, bin ich in so einer Art Entspannungszustand. Ich denke noch nicht einmal nach, ich mache einfach. Wenn ich zeichne, zeichne ich einfach – und wenn ich programmiere, tippe ich einfach. Wenn beim Programmieren mal was nicht funktioniert, gehe ich in die Debugging-Phase und setze den logischen Teil meines Gehirns ein, und wenn beim Zeichnen irgendetwas nicht richtig aussieht, passiert etwas Ähnliches. Ich nehme mir einen Augenblick, trete ein Stück zurück und frage mich: „Okay, logische Gehirnhälfte, was stimmt hier nicht?“ [lacht] Und dann behebe ich es. Ich würde also schon sagen, die beiden Dinge ähneln sich. So habe ich das noch nie betrachtet.

Wir haben gesehen, wie du in der Mittagspause im Kreuzworträtsel-Club unseres Studios kryptische Kreuzworträtsel löst. Das scheint ein ähnlicher Prozess zu sein.

Bevor ich bei Mm angefangen habe, wusste ich gar nicht, wie man diese Art von Kreuzworträtseln löst. Ich habe über einen Monat lang einfach nur am Tisch gesessen und den anderen schweigend zugesehen, wie sie ihre Magie wirkten, bevor ich es selbst mal versucht habe!

Aber du bist die Schnellste von uns allen!

Ja, ich habe in diesem Monat ausgetüftelt, wie sie funktionieren, und es gelegentlich mal ausprobiert und dann habe ich mir drei oder vier Bücher mit kryptischen Kreuzworträtseln gekauft und wie wild Rätsel gelöst – manchmal habe ich sie noch nicht einmal gelöst, sondern mir nur die Antworten angesehen und versucht, den Lösungsweg von hinten aufzuschlüsseln.

Das klingt ganz genau so wie all unsere (extrem begrenzten) Erfahrungen in Sachen Programmieren. Irgendetwas geht kaputt und wir fragen uns: „Wie ist das passiert?!“

Es von hinten aufzuschlüsseln, macht es einfacher, es von vorn hinzubekommen. Das ist das große Geheimnis [lacht].

Skizze von Harold Finch, gezeichnet von Rosabelle Armstead

Skizze von Harold Finch, gezeichnet von Rosabelle Armstead

Grafik von Rosabelle Armstead, mithilfe von Procreate erstellt

Grafik von Rosabelle Armstead, mithilfe von Procreate erstellt

Gibt es deiner Meinung nach viele Überschneidungen zwischen dem, was du bei Mm gelernt hast, und deinem Studium an der Uni? Nicht nur in Bezug aufs Programmieren, sondern auch, was deine persönliche Entwicklung angeht?

Ja, definitiv. Ich sage den Leuten, die mich danach fragen, immer, dass ich das Gefühl habe, in einem Jahr Arbeit mehr gelernt zu haben als in zweieinhalb Jahren an der Uni. Etwas in einer praxisorientierten Arbeitsumgebung zu tun, macht einen gewaltigen Unterschied. Für mein letztes Jahr hat mir das viel gebracht, weil ich auch hier quasi wieder den umgekehrten Weg gegangen bin – alles, was ich bei Mm gemacht hatte, stand jetzt in meinem letzten Jahr auf dem Plan. Das macht es leichter, den Überblick zu behalten. Und weil ich schon auf professioneller Ebene in einem Team gearbeitet hatte, fielen mir auch Gruppenprojekte leichter und das war schön.

Du bist eindeutig eine Schnelllernerin – für das, was du machst, musst du das ja auch sein! Du hast an der Veröffentlichung eines BAFTA-prämierten Spiels mitgearbeitet, noch bevor du deinen Abschluss hattest. Wie hast du es geschafft, alles unter einen Hut zu bringen?

Ja, ich glaube, das war ein eher ungewöhnlicher Weg. Ich habe immer zweieinhalb Tage pro Woche zu Hause an Sachen für Mm gearbeitet und war zweieinhalb Tage pro Woche an der Uni. Es war etwas schwierig, das mit meinem Tutor zu organisieren, aber wir haben einen Tag gefunden, an dem wir beide konnten, und letztendlich hat es funktioniert. Ich hatte Glück, dass die Veröffentlichung von Dreams etwa zwei Monate vor meiner Abschlussarbeit stattfand, bevor das Lernen fürs Examen losging. Ich hatte also einen schönen kleinen zeitlichen Puffer zwischen beidem – hätte beides zeitgleich stattgefunden, weiß ich nicht, ob ich die Veröffentlichung von Dreams geschafft hätte.

Dein Abschluss steht kurz bevor. Wie sehen deine Pläne nach der Uni aus?

Im Moment habe ich vor, einfach bei Mm zu bleiben und Spaß zu haben! [lacht] Den Job, den ich so mag, weiter auszuüben – und einfach ein bisschen mehr Zeit für meine Hobbys zu haben. Dienstags treffen sich einige Kollegen von der Arbeit zum Fußballspielen und ich freue mich schon darauf, wieder mitmachen zu können. Und Tischtennis! Das fehlt mir sehr.

Welchen Rat würdest du jemandem mit auf den Weg geben, der Spieleprogrammierer werden möchte?

Ich glaube, der beste Rat ist, etwas zu tun, das man wirklich gern macht. Man sollte sich keine Traumvorstellung von etwas machen und darauf hinarbeiten, ohne zuerst zu wissen, ob es einem überhaupt Spaß macht. Also probiert es aus. Sachen wie Roblox und Dreams sind ideal dafür – das Logiksystem ist toll, um herauszufinden, ob man Spaß daran hat, Spiele zu erstellen, oder nicht. Es schadet definitiv nicht, selbst ein bisschen Erfahrung zu sammeln – und ein Portfolio zu haben, auch wenn nicht alles darin toll ist! [lacht] Irgendetwas, das funktioniert und einen Zweck erfüllt, ist fantastisch.

Das Dreams-Benutzerhandbuch ist ständig in Arbeit. Achtet auf Aktualisierungen, da wir im Laufe der Zeit weitere Lern-Ressourcen und Artikel hinzufügen werden.