Schöpferprofil: HalfUp
Sei Wasser, mein Freund.#
Wenn du die sanften, mysteriösen Landschaften durchstreifst, die Anthony Cristiano (im Spiel bekannt als HalfUp) in Dreams kreiert hat, fällt dir vielleicht ein Motiv auf. In einem Spiel paddelst du als freche Topfpflanze mit deinen kleinen Füßen durch geometrische Becken, in einem anderen werden die Ränder einer Welt, die sowieso schon Gefahr läuft, sich aufzulösen, von schimmernden Wellen abgetragen. „Ich habe schon immer ein großes Faible für Wasser“, erzählt uns Cristiano. „Ich weiß auch nicht, woran das liegt.“
Doch während wir uns so mit dem jungen Künstler und Spieleentwickler unterhalten, kommen wir langsam zu einer Theorie. Wir haben es hier offensichtlich mit einem Schöpfer zu tun, der den Drang verspürt, sich vom Fluss treiben zu lassen. Auch sein Lebensmotto, wie es in seinem Twitter-Profil zu finden ist, spiegelt das wider. „Ich habe quasi immer einfach improvisiert“, sagt er.
Cristiano hat einen Großteil seiner Kindheit in Melbourne am Ozean verbracht, wo das kühle südliche Meer nie weit weg war, selbst als er dann zur Schule ging. Wie war das für ihn? „Die Highschool ist die Highschool“, lacht er. „Das konnte nur chaotisch werden. Ich war ganz schön verplant.“ Seine breit gefächerte Auswahl an Fächern für die Abschlussprüfungen spricht Bände: Philosophie, Kunst und Gesundheit und menschliche Entwicklung. „Und dann noch einen Kurs in Holzverarbeitung“, grinst er.
Tagträumen – und Zeichnen – lagen ihm im Blut. Er erinnert sich an Skizzen, die er beidseitig auf grünem Papier, das er sich aus dem Kunstraum „geliehen“ hatte, gezeichnet hat, welche dann von seinen Naturwissenschaftslehrern konfisziert wurden. Einige davon zeigten Charaktere, manche waren Porträts, aber für gewöhnlich skizzierte er gerne kleine Welten. „Und zwar ganz besonders“, sagt Cristiano, „Levels, die ich in LittleBigPlanet machen wollte.“ Sein Bruder hatte einen Freund zum Übernachten eingeladen, der sein Exemplar des Spiels mitbrachte. „Wir spielten das gesamte Spiel durch – und dann ging er nach Hause und ich habe es nie wieder gesehen!“
Als ihm sein Bruder den Trailer für LittleBigPlanet 2 zeigte, war klar, dass sie es spielen mussten – und Cristiano fand heraus, dass man seine eigenen Levels erstellen konnte. Er stieß sich seine Spieleentwickler-Hörner an „Bomb Survival“- und „Shark Survival“-Herausforderungen ab, bevor er sich an „ernstere“ Werke wagte (LBP3-Veteranen erinnern sich vielleicht an die beliebten HalfUp-Levels wie The Jam Gardens).
Während der Early-Access-Veröffentlichung von Dreams im Jahr 2019 studierte Cristiano an der Universität, einige Jahre, nachdem er seine Schullaufbahn beendet hatte. Er lernte viel über traditionelle Kunst und Zeichnen, aber der Studiengang führte ihn auch an digitale Programme wie Illustrator und Photoshop heran. „Dreams fiel dann zufällig mit den digitalen Dingen zusammen, da ich auch sehr an 3D interessiert war. Und das Tolle an Dreams ist ja, dass es so zugänglich ist. Man kann ganz einfach ...“, beginnt er seinen Satz, bevor er sich unterbricht und stattdessen die Bewegungen von Motion-Controllern imitiert, mit denen er schnell Objekte in einer Szene platziert.
Was Cristiano am meisten begeisterte, war die Aussicht, in Dreams ganz einfach in 3D arbeiten zu können. „Ich hatte mich an Blender und Cinema 4D versucht, aber es war furchtbar mühselig. In Dreams kann ich eine ganze Welt gestalten, und es ist so einfach. Das war für mich der größte Pluspunkt.“ Er verwendete es sogar für Prototypen von Universitätsprojekten, insbesondere für einen Audio-Visualisierer zum Anzeigen von Daten zu Buschfeuern. Wir fragen uns, was seine Dozenten wohl davon hielten, dass er eine PlayStation-Software für seine Präsentation verwendete. „Ich ließ ihnen nicht wirklich eine Wahl!“, lacht er. „Es ist wirklich sehr nützlich, um schnell etwas zusammenzustellen. Und ich muss sagen, dass es mich unglaublich frustriert, dass ich das in Dreams innerhalb von einer Stunde bewerkstelligen konnte, es mich dann aber sechs Wochen gekostet hat, als ich mit dem tatsächlichen Projekt anfing und quasi das Gleiche machen musste!“
Das Freihandgefühl der Kreativwerkzeuge in Dreams passt gut zu Cristianos bevorzugtem Stil. „Ich tendiere zu blockartigen, einfachen Formen – wie dieser flache Stil, der gerade ein wenig im Trend liegt“, erzählt er uns. Von Cartoon-Felsen mit Cel-Shading-Kanten über empfindungsfähige Farne vor lachsfarbenen Hintergründen bis hin zu größeren Werken wie der „Gardens“-Reihe, überall ist Cristianos markanter visueller Stil zu erkennen. Als maßgebliche Quellen der Inspiration nennt er Motion-Designer und Illustrator Ben Marriott, die farbenfrohen Charakterzeichnungen von Cleonique Hilsaca und Moonmxtr sowie die sorgfältig gezeichneten Szenen von Kelog Sloops mit ihren starken Kontrasten.
Obwohl Dreams auch eine wunderbare Plattform für Gemälde, Elemente und Szenen völlig ohne Gameplay bietet, zeigt Cristianos Palette an Kreationen im Spiel, dass er sich immer wieder vom Game-Design angezogen fühlt. „The Watergardens begann als kleines Kunstwerk“, erzählt er uns. „Dann dachte ich mir: ,Hm, es wäre doch cool, wenn man darin herumlaufen könnte ...‘ Daraus wurde dann ,Ach, ich mache ein ganzes Spiel daraus!‘“, sagt er mit einem Lachen. Cristiano brauchte für den Third-Person-Plattformer knapp ein Jahr, bis er damit zufrieden war. Als er ihn schließlich im Januar 2020 veröffentlichte, sorgte dieser für großes Aufsehen, und sogar Mainstream-Websites wie Gamereactor und Vice berichteten über das Spiel.
Die visuellen Inspirationen sind eindeutig: Monument Valley fällt einem direkt ein – „Ich liebe den Surrealismus“ –, doch Cristiano nennt auch Little Nightmares als große Inspiration sowie den Audiostil von Disasterpeace in Fez. Darüber hinaus hatte seine Faszination mit dem Seebereich von Hyper Light Drifter mit seinem neonblauen Wasser und den stechend grünen Pflanzen einen erheblichen Einfluss auf The Watergardens. „Mir gefällt auch die Geschichte“, ergänzt er. „Ich mag, dass man nicht gesagt bekommt, was vor sich geht, aber es ist allgegenwärtig und man kann sich ein eigenes Bild machen.“
Tatsächlich ist dies eine Vorliebe, die sich auch im anspruchsvolleren Nachfolger zu The Watergardens wiederfindet, The Snowgardens (welches – neben vielen anderen Kategorien – in der Kategorie Beste Handlung für einen Impy nominiert wurde). Doch selbst hier ließ sich Cristiano einfach vom Augenblick leiten. „Auch in meinem Kopf ist alles nur sehr vage“, gibt er zu. „Als ich an The Watergardens gearbeitet habe, dachte ich mir einfach: ,Ich platziere hier ein gewaltiges Portal und diese leuchtenden, violetten Würfel, das wird cool aussehen.‘ Ich erinnere mich an die Kommentare, die es dazu gab: ,Was passiert nach dem Portal, wo führt es hin?!‘“ Er lacht. „‚Keine Ahnung!‘, konnte ich dazu nur sagen!“
The Snowgardens, welches in einer Welt angesiedelt ist, die sich auflöst und stetig ihren Zustand ändert, war Cristianos Chance, mehr über die Geschichte in Erfahrung zu bringen, die er losgetreten hatte. „Ich dachte mir: ,Okay, ich werde durch dieses Portal gehen, denn ich will wissen, was geschieht.‘ Ich wusste es ja selbst nicht. Und darauf habe ich dann einfach aufgebaut.“ Und so wurde das Portal innerhalb der Welt die Lösung für Reisen durch Raum und Zeit, welche den Bewohnern erlaubt, mehr von der violetten Energiequelle abzubauen – was aber gleichzeitig langsam die Realität destabilisiert. „Sie nutzen und missbrauchen die Energie“, sagt Cristiano. „Es wird nicht besonders deutlich gezeigt, aber ich weiß es, und mir gefällt der Gedanke, dass andere Leute vielleicht die kleinen Details sehen und ihre eigenen Theorien darüber spinnen, was zur Hölle da vor sich geht.“
Und dann ist da noch der brillanteste Spielmechanismus in The Snowgardens, der Bogenteleporter. „Ich glaube nicht, dass ich das jemals übertreffen werde“, grinst er. Die ursprüngliche Idee war ein Kampfmechanismus mit Projektilen, bevor er an eine Art der Fortbewegung dachte. „Anfangs war es wie eine Art Greifhaken, den man irgendwo hinschießt und sich dann langsam darauf zubewegt.“ Bei der Implementierung stieß er jedoch auf einige Probleme, unter anderem, Rätsel für diese Fähigkeit einzubauen, die Spaß machen. Er hatte bewegliche Hindernisse, die man durch perfekt getimte Schüsse des Greifhakens umgehen musste, sodass das Hindernis zu dem Zeitpunkt, an dem man die Strecke zurücklegte, nicht mehr im Weg war. „Das erschien aus Gameplay-Sicht einfach nicht sonderlich interessant.“
Doch dann hatte er eine Idee: Warum spart man sich nicht einfach den Mittelteil, die Fortbewegung des Spielers zu einer Stelle, und lässt den Charakter stattdessen augenblicklich am Zielort erscheinen? Das war der Einfall, der alles auf magische Weise zusammenbrachte und schwungvolles Plattformer-Gameplay sowie tückisches Rätseldesign ermöglichte. Darüber hinaus passte es sogar in ästhetischer Hinsicht zur fremdartigen Technomantie des Settings von The Snowgardens.
Eine Niederlage auf kluge Weise in einen Sieg umzudrehen, ist eine altbekannte Geschichte – doch Cristiano zögert noch immer, sich selbst als Indie-Spieleentwickler zu bezeichnen. „Selbst als ich es fertiggestellt hatte, war ich der Ansicht: ‚Ich habe dieses Ding gemacht – ich würde es nicht als Spiel bezeichnen.‘ Und dann kam es in die Mm-Auswahl und den Leuten gefiel es, und ich dachte mir: ‚Moment mal, was soll‘s – ich habe ein Spiel gemacht! Es hat einen Anfang und ein Ende. Man läuft herum und springt auf Sachen. Es gibt viel vagere Spiele als das, und die nennt man auch Spiele.‘“
Er macht eine Pause. „Ich würde aber nicht sagen, dass ich mich als Entwickler gefühlt habe. Als ich angefangen habe, hatte ich nicht das Ziel, ein Spiel zu erschaffen. Ich habe es für mich gemacht – einfach zum Spaß. Ein paar Blöcke platzieren, reingehen und herumlaufen. Wenn ich zufrieden damit bin, ist das cool.“ Wir erwidern daraufhin, dass viele Indie-Entwickler, die wir kennen, genauso denken – nur manchmal gewinnen solche Gelegenheitsprojekte eben auch die Herzen anderer Menschen für sich. „Ich glaube, wenn die Leute etwas zum Spaß machen, für sich selbst, dann bringen sie ihre beste Leistung“, sagt er nickend.
Wie wird also Cristianos nächstes Projekt aussehen? Wir haben da etwas auf seinem Twitter-Feed gesehen, das nicht so recht zu einem von Wasser besessenen Künstler passt: bröckelnde Ruinen in einer trockenen Wüste mit vereinzelten grünen Kakteen. „Ich habe The Snowgardens fertiggestellt und dachte mir: ‚Das reicht. Noch eins mache ich nicht. Ich will etwas anderes machen.‘ Und dann dachte ich mir ...“ Er macht eine lange Pause und versucht, sich das Lachen zu verkneifen. „Nur noch eins.“
Wie gemeinhin vermutet wird, heißt dieses Projekt tatsächlich The Sandgardens. Cristiano schätzt, dass er nur etwa „ein halbes Prozent“ des Entwicklungsweges hinter sich hat, aber er zeigt uns einige wunderschöne, von Hand gemalte Konzeptgrafiken. Wir erfahren, dass The Snowgardens ursprünglich The Sandgardens sein sollte, bis Cristiano klar wurde, dass er Probleme damit hatte, einen praktikablen, nicht flüssigen Weg zu finden, ein Level um den Spieler herum zu begrenzen. Ist er nervös, wieder vor dieser Herausforderung zu stehen? „Ich habe tierische Angst“, sagt er mit amüsanter Ernsthaftigkeit, doch dann lächelt er: „Aber es wird interessant sein, eine Möglichkeit zu erarbeiten, den Spieler davon abzuhalten, einfach abzuhauen ...“ Der Plan für diesen dritten Teil ist, die Handlung abzuschließen und die Trilogie so zu einem Ende zu führen. „Und wenn es fertig ist, denke ich mir wahrscheinlich wieder: ‚Nur noch eins!‘“
Er hat auch noch ein paar andere Projekte im Ärmel. Er will nicht zu viel davon preisgeben, was – wie wir anmerken – ebenfalls eine klassische Eigenschaft von Spieleentwicklern ist, aber er hat „garantiert“ Interesse daran, ein vollwertiges Abenteuer für seinen putzigen Charakter Potkid zu kreieren, vielleicht im Stil von Pikmin. Und darüber hinaus? Cristiano hält sich alle Optionen offen. Er möchte sich mit Grafikdesign beschäftigen und verbringt aktuell Zeit mit Branding und Motion Graphics. Damit ist aber nicht gesagt, dass eine Zukunft in der Spieleentwicklung nicht ständig in seinem Hinterkopf herumschwirrt, besonders wenn er ermutigende Kommentare auf den Seiten seiner Dreams-Kreationen liest oder in den sozialen Medien Videos sieht, in denen Kinder sich über die Albernheiten von Potkid amüsieren. „Das gibt mir so ein warmes und flauschiges Gefühl“, lächelt er. „Ich könnte mir schon vorstellen, das beruflich zu machen!“
Aber wie immer geht es für Cristiano darum, sich vom Fluss treiben zu lassen und einfach zu tun, was sich natürlich anfühlt, ohne zu hohe Erwartungen. Wir haben ein paar Kommentare von Leuten außerhalb der Community zu Cristianos unglaublicher Arbeit in Dreams gesehen – sie fragen sich oft, warum jemand knapp ein Jahr damit verbringt, ein vollwertiges Indie-Spiel zu entwickeln, das nach aktuellem Stand weder monetarisiert noch auf anderen Plattformen vertrieben werden kann. Seine Antwort? „Mir zumindest geht es um den Spaß. Es ist das Gleiche, wie wenn ich mich hinsetze und zum Spaß etwas male. Genauso gehen manche Leute raus und spielen Fußball zum Spaß. Ich bin nicht hier, um Geld damit zu machen. Ich meine, ich habe schon am Ende meinen [Ko-Fi]-Link gepostet, denn ich dachte mir, vielleicht macht es ja jemand ... Das war das beste Mägges-Essen meines Lebens!“, lacht er. „Aber ja, mehr nicht. Ich mache es, weil es Spaß macht, Zeit damit zu verbringen. Es ist etwas, das glücklich macht.“
Besuche die Schöpferseite von HalfUp, um alle seine Kreationen in Dreams zu sehen.
Das Dreams-Benutzerhandbuch ist ständig in Arbeit. Achtet auf Aktualisierungen, da wir im Laufe der Zeit weitere Lern-Ressourcen und Artikel hinzufügen werden.